Die EU-Richtlinie 2008/120/EG definiert die Schutznormen für Produktionsschweine. Sie verbietet u.a. das routinemäßige Kupieren des Schwanzes. Die meisten Mitgliedsstaaten erlauben dies dennoch für den Fall, dass alle sonstigen Maßnahmen zur Verhinderung des Schwanzbeißens ergriffen wurden – und gewähren diese „Ausnahme“ ohne stichhaltige Begründung in fast allen Schweineställen. In Finnland verbietet die nationale Gesetzgebung das Kupieren bereits seit 2003 vollständig.[1] Schwanzbeißen bei Schweinen ist stets ein Stressmerkmal. Der Schwanz ist daher ein wichtiger Indikator für das Wohlbefinden des Tieres.
Die Empfehlung EU 2016/336 der Europäischen Kommission beschreibt Maßnahmen zur Erreichung der in der Richtlinie vorgegebenen Ziele. In einem aktuellen Bericht[2] stellt die EU-Kommission fest, dass nur zwei Mitgliedsstaaten – Finnland und Schweden – sowie die beiden EU-Nachbarländer Norwegen und Schweiz das Kupierverbot durchgesetzt haben. Dem Schwanzbeißen wird hier durch hohe Standards bei der Schweinehaltung entgegengewirkt: Wühlmöglichkeiten, angenehme Stalltemperatur, Luftqualität, Tiergesundheit, gute Ernährung sowie Vermeidung von Konkurrenzkämpfen durch Bereitstellung von ausreichend Platz und Futter. Die Erfahrungen aus Finnland, Schweden und der Schweiz werden aktiv weitergegeben; über die Schulungsexkursionen in diese Länder liegt ein zusammenfassender Bericht vor.
Finnlands Erfolge bei der artgerechten Schweinehaltung sind europaweit anerkannt und beruhen auf jahrzehntelanger systematischer Arbeit. Die Nutztiergesundheit ist in Finnland allgemein auf hohem Niveau, da der Ausbreitung von Krankheiten sowohl das nordische Klima als auch die geringe Besatzdichte und große Distanz zwischen den Höfen entgegenwirken. Außerdem wird schon seit langem vorbeugende Tiergesundheitspflege praktiziert. Mehrere bedeutende Schweinekrankheiten (u.a. Schnüffelkrankheit, Ferkelgrippe, Räude und Schweinedysenterie) konnten durch freiwillige Maßnahmen eliminiert werden. Die brancheneigenen Maßregeln zur Vermeidung von PRRS gehen über die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen hinaus, und die Krankheit ist in Finnland bislang nicht aufgetreten.
Das Wohlbefinden der Tiere ist ein Zusammenspiel zahlreicher Faktoren, darunter Platz und Futter, Temperatur und Lüftung, Stallboden und Beschäftigungsmaterial (Enrichment) sowie die kontinuierliche Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser. Hochwertiges Futter mit optimierter Nährstoffzusammensetzung ist wesentlich in den verschiedenen Produktionsphasen.
Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestfläche pro Tier entspricht in Finnland der EU-Richtlinie (0,65 m²/Schwein), doch die bedeutenden Schlachtbetriebe verlangen von ihren Vertragsbauern mehr Bewegungsfreiheit für die Tiere, in der Regel mindestens 0,8-0,9 m²/Schwein.
Vorgeschrieben ist auch die Bereitstellung von Beschäftigungs- und Wühlmaterial, in Finnland meist Stroh, Sägespäne oder Torf. Den EU-Mindestanforderungen kann auch mit Alternativen wie Säcken oder Ketten Genüge geleistet werden, wie es in vielen mitteleuropäischen Ländern üblich ist. In Finnland dagegen geht der Trend schon seit einigen Jahren in die gegenläufige Richtung.[3] Innovatives „Spielzeug“ wie Holzstücke, an Ketten baumelnde Eishockeypucks, Knabbertaue und Gartenschläuche bieten den Tieren artgerechte Unterhaltung. Das Finnische Amt für Lebensmittelsicherheit (Evira) schreibt vor, dass Schweine ständig ausreichend Wühlmaterial zum Formen kleiner Haufen um sich haben müssen oder aber zumindest zweimal täglich frisches organisches Material erhalten.
Das in Finnland und Schweden übliche Art der Fütterung von Schweinen ist Flüssigfutter, das an alle Tiere des Stalls gleichzeitig verteilt werden kann. An den in Deutschland und Dänemark üblichen ad libitum Futterluken können sich dagegen nur wenige Tiere auf einmal bedienen. Dies führt oft zu Konkurrenzkämpfen, die den Schweinen erheblichen Stress verursachen.
Herkömmliche Vollspaltenböden sind unbequem, rutschig und können Klauenschäden verursachen. Ihr größtes Problem jedoch ist der Mangel an angenehmen Liegemöglichkeiten, zumal es meist von unten her zieht und zudem aus der Güllerinne Gase aufsteigen. Andererseits sind Modelle mit breiteren Balken und schmaleren Spalten leichter trocken zu halten und bieten eine angenehmere Liegefläche.
Teilspaltenböden ermöglichen die Benutzung von Streu, ohne dass sie gleich in die Güllerinne rutscht. Zur Bereitstellung von Heu und Stroh werden in den finnischen Beständen gerne an der Boxenwand montierte Raufen genutzt. In einigen finnischen Schweineställen wird komplett auf Spaltenböden verzichtet, doch durchgehend feste Böden sind schwer sauber und trocken zu halten. Die meisten Höfe setzen daher auf Teilspaltenböden: 30-50 % des Boxenbodens ist fest, der Rest Spaltenboden.
Im EU-Kommissionsbericht 2016-8987 wird festgestellt, dass mehrere Länder angeregt durch Schulungsreisen nach Finnland, Schweden und in die Schweiz ebenfalls entsprechende Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet haben, so unter anderem Deutschland, Frankreich, Holland und Dänemark. Deutschland und Dänemark haben neben Pilotprojekten und Situationsanalysen bereits mit der Schaffung eines landesweiten Kennzeichnungssystems für Tierwohlkriterien begonnen.
In Finnland hat Das Finnische Amt für Lebensmittelsicherheit bereits 2013 das auf dem Gesundheitsklassifizierungsregister für Schweinebestände (Sikava) basierende Qualitätssystem als erstes nationales Qualitätssystem anerkannt. Das ist den Verbrauchern unter der Bezeichnung „Laatuvastuu“ (dt. Qualitätsverantwortung) auf den Fleischverpackungen sichtbar. Dieses System umfasst Maßnahmen, die deutlich strenger sind als die gesetzlichen Mindestvorschriften und wesentlich zur Erhöhung von Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit beitragen.
Das Sikava-System enthält auch über die Gesetzesvorschriften hinausgehende Regeln für den Import von Tieren sowie deren Futter, Föten und Sperma. Rund 95 % der finnischen Schweinehalter haben sich zur Einhaltung der von der Tiergesundheitsorganisation ETT herausgegebenen Anweisungen sowie der Sikava-Regeln verpflichtet. Gesundheit und Wohlbefinden der Schweine werden regelmäßig von Tierärzten kontrolliert. Der Behandlungsbedarf mit Antibiotika in der finnischen Schweinefleischproduktion ist minimal. Das Laatuvastuu-Zeichen auf der Fleischverpackung signalisiert über das Wohlbefinden der gesunden Schweine.
Bibliografie
[1] Directorate-General for Internal Policies: Routine tail-docking of pigs, document requested By the committee on petitions, Link zum Bericht
[2] European Commission, Health and food audits and analysis, Overview report on Rearing Pigs with Intact Tails, Link zum Bericht
[3] Telkänranta, H. Research results on pig enrichment, Helsinki University, Link